Das Hörvermögen des Homo erectus
Der folgende Artikel gibt den im „Studium Integrale Journal“ (29. Jahrgang ┃ Heft 2; Oktober 2022) erschienenen Artikel „Homo erectus mit modern menschlichem Hörvermögen“ von Dr. Michael Brandt wieder. Zitate ohne weitere Quellenangabe stammen direkt aus dem erwähnten Originalartikel.
Der Homo erectus ist der früheste fossile Mensch. Ein Merkmal, in dem sich Mensch und Affe voneinander unterscheiden ist das Hörvermögen, bzw die Hörschnecke. Die Frage ist, ob Homo erectus anhand seiner Hörschnecke als echter Mensch klassifiziert werden kann oder ob er als Bindeglied zwischen den eindeutig affenartigen Australopithecinen und dem eindeutig menschlichem Neandertaler gedeutet werden kann.
Die Hörschnecke (Fachbegriff „Cochlea“) ist ein wesentliches Organ für das Hören. Sie ist Bestandteil des Innenohres, spielt eine wichtige Rolle beim Hörvorgang und beherbergt unter anderem das Corti-Organ, wo der Gehörsinn sitzt.
Auf die genaue Beschreibung der Anatomie des Innenohres verzichte ich an der Stelle, da sie nicht notwendig zum Verständnis des Folgenden ist und leicht mit einer kurzen Google-Suche selber recherchiert werden kann.
In vielen Studien wurde das knöcherne Labyrinth (siehe Bild) früher menschlicher und nicht-menschlicher Homoninen untersucht. Homoninen sind alles, was evolutionstheoretisch in die Abstammungsfolge des Menschen von einem großaffenähnlichen Vorfahren von Mensch und Affe gestellt wird. Diese Studien zeigten, dass die Morphologie (Form und Größe) der Bogengänge u.a. für die Taxonomie (Einordnung in das hierarchische System von „Art“ bis „Reich“) und die Abstammungsrekonstruktion nützlich ist.
Auch die Beziehung der Morphologie der Hörschnecke zum Hörvermögen bei fossilen Menschen wurde vielfach untersucht. Demnach haben die Hörschnecke des Neandertalers und des heutigen Menschen viele gemeinsame Merkmale. Beide sind durch eine lange erste Krümmung des spiralförmigen Rohres, eine verdickte Windung und ein großes Volumen gekennzeichnet.
„Diese drei Merkmale werden als fortschrittlich gegenüber den frühen nicht-menschlichen Homoninen und dem Schimpansen angesehen.“ Man schließt von einem ähnlichen Hörschnecken-Volumen auf eine ähnliche Hörfähigkeit und von der Morphologie des Außen- und Mittelohres auf eine ähnliche Schallleistungsübertragung und Schallbandbreite beim Neandertaler und heutigem Menschen.1
Beim Homo erectus ist die Form der Hörschnecke aber weitestgehend unerforscht. Diesen Mangel sind Urciuoli und seine Kollegen angegangen und haben die Hörschnecke von zwei indonesischen Homo erectus-Individuen untersucht. Sie verglichen sie mit den Hörschnecken von Australopithecinen, Menschen des Mittel- und Spätpleistozäns und heutigen Menschen.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Hörschnecke der untersuchten Homo erectus-Individuen eine mosaikartige Morphologie hatten. Das heißt sie vereinen „ursprüngliche“ (australopithecine) und „fortschrittliche“ (echt-menschliche) Merkmale. Zu den ursprünglichen Merkmalen zählen ein schimpansenähnlicher runder Querschnitt und eine geringe Dicke. Fortschrittliche Merkmale sind eine voluminöse und lange Hörschnecke.
Innerhalb der beiden Individuen (S2 und S4) traten auch Unterschiede auf, besonders hatte die Hörschnecke von S4 ein größeres Volumen, was von den Autoren aber am ehesten als Variation innerhalb der Art interpretiert wird.
Urciuoli und seine Kollegen schließen aus ihren Untersuchungen, dass S4 und vielleicht auch Homo erectus allgemein ein menschliches Hörvermögen hatte. Wobei angemerkt werden muss, das Schlüsse allein aufgrund des Knochenbaus auch Raum zur Spekulation lassen.
Die Hörschnecke der Australopithecinen ist dagegen ursprünglich strukturiert ist, womit sie klar vom Homo erectus abgrenzbar sind. Zwei weitere untersuchte Individuen sind in die Gattung Homo gestellten SK 27 und SK 847. Sie hatten zwar etwas fortschrittlichere Merkmale gegenüber Australopiticus, aber dennoch eine nicht-menschlich kleine Hörschnecke, womit auch sie kein menschliches Hörvermögen hatten.
Da nach der Schöpfungslehre alle Arten der Gattung Homo echte Menschen waren, scheint das im Widerspruch zu Schöpfung zu stehen. Doch bei genauer Betrachtung löst sich der Widerspruch: Die beiden Individuen ähneln „Homo“ habilis.2 Homo habilis wird entgegen seiner Bezeichnung jedoch nicht mehr als Mensch, sondern als Australopithecine gesehen.3 Zwei interessante Zitate dazu lauten (nicht im Originalartikel enthalten):
Ian Tattersall, evol. Paläoanthropolge:
„Homo habilis hat den Status einer allumfassenden „Mülleimer“ Spezies, in der man bequem viele unterschiedliche Fossilien unterbringen könnte…“
Tattersal I & Schwartz J.H., Extinct Humans, Westview Press, New York, 2001, S. 111.
Bernard Wood evol. Paläoanthropolge:
„…wir empfehlen, dass homo habilis und home rudolfensis bis auf Weiters der Spezies Australopithecus zugeordnet werden.“
B. Wood & B.G. Richmond, Human evolution: taxonomy and paleobiology, J. Anatomy 196, 2000, S. 69.
Urciuoli und seine Kollegen fassen am Ende ihrer Arbeit zusammen, „dass in Übereinstimmung mit früheren Schlussfolgerungen zu den Neandertalern der Homo erectus mehr modern menschlich in Bezug auf seine Hörfähigkeiten gewesen sein könnte als seine homoninen Vorläufer, einschließlich früher „Homo“-Vertreter.“
Das steht in Übereinstimmung mit anderen Indizien das Verhalten und den Körperbau betreffend, wonach Homo erectus der erste Homonine ist, der eine zweifelsfrei menschenähnliche Lebensweise hatte. Urciuolis Einschätzung stimmt also mit den Erkenntnissen im Rahmen der Grundtypenbiologie der Schöpfungslehre überein, wonach Homo erectus der früheste fossil nachgewiesene Mensch war. Ein Übergang zwischen dem affenartigen Australopithecus und dem Menschen ist nicht nachweisbar.
Literatur:
- Urciuoli A et al. (2022) Cochlear morphology of indonesian Homo erectus from Sangiran. J. Hum. Evol. 165, 103163. ↩︎
- Henke W & H Rothe (1994) Paläoanthropologie. Berlin. ↩︎
- Brandt M (2017) „Homo“ habilis war kein Mensch. In: Brandt M: Frühe Homoninen. Eine Bestandsaufnahme anhand fossiler und archäologischer Zeugnisse. Studium Integrale Special, S. 81-90. ↩︎