03 Oktober 2017 ~ 0 Comments

Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation

Das Reich bildete sich im 10. Jahrhundert unter der Dynastie der Ottonen aus dem ehemals karolingischen Ostfrankenreich heraus. Mit der Kaiserkrönung Ottos I. 962 knüpften die römisch-deutschen Herrscher (wie zuvor die Karolinger) an die Idee des erneuerten Römerreiches an, woran bis zum Ende des Reiches zumindest prinzipiell festgehalten wurde. Das Gebiet des Ostfrankenreichs wurde erstmals im 11. Jahrhundert in den Quellen als Regnum Teutonicum oder Regnum Teutonicorum (Königreich der Deutschen) bezeichnet; es handelte sich aber nicht um den offiziellen Reichstitel. Der Name Sacrum Imperium ist für 1157 und der Titel Sacrum Romanum Imperium für 1254 erstmals urkundlich belegt. Der Zusatz Deutscher Nation(lateinisch Nationis Germanicæ) wurde ab dem späten 15. Jahrhundert gebraucht. Zur Unterscheidung vom 1871 gegründeten Deutschen Reichwird es auch als Römisch-Deutsches Reich oder (ab der Frühen Neuzeit) als Altes Reich bezeichnet. Aufgrund seines vor- und übernationalen Charakters entwickelte sich das Reich nie zu einem Nationalstaat oder Staat moderner Prägung, sondern blieb ein monarchisch geführtes, ständisch geprägtes Gebilde aus Kaiser und Reichsständen mit nur wenigen gemeinsamen Reichsinstitutionen.

Die Ausdehnung und die Grenzen des Heiligen Römischen Reiches veränderten sich im Laufe der Jahrhunderte erheblich. In seiner größten Ausdehnung umfasste das Reich fast das gesamte Gebiet des heutigen Mittel- und Teile Südeuropas. Es bestand seit dem frühen 11. Jahrhundert aus drei Reichsteilen: Dem nordalpinen (deutschen) Reichsteil, Reichsitalien und – bis zum faktischen Verlust im ausgehenden Spätmittelalter – Burgund (auch als Arelat bezeichnet).
Seit der Frühen Neuzeit war das Reich strukturell nicht mehr zu offensiver Kriegsführung, Machterweiterung und Expansion fähig. Seither wurden Rechtsschutz und Friedenswahrung als seine wesentlichen Zwecke angesehen. Das Reich sollte für Ruhe, Stabilität und die friedliche Lösung von Konflikten sorgen, indem es die Dynamik der Macht eindämmte: Untertanen sollte es vor der Willkür der Landesherren und kleinere Reichsstände vor Rechtsverletzungen mächtigerer Stände und des Kaisers schützen. Da seit dem Westfälischen Frieden von 1648 auch benachbarte Staaten als Reichsstände in seine Verfassungsordnung integriert waren, erfüllte das Reich zudem eine friedenssichernde Funktion im System der europäischen Mächte.
Das Reich konnte seit der Mitte des 18. Jahrhunderts seine Glieder immer weniger gegen die expansive Politik innerer und äußerer Mächte schützen. Dies trug wesentlich zu seinem Untergang bei. Durch die Napoleonischen Kriege und die daraus resultierende Gründung des Rheinbunds, dessen Mitglieder aus dem Reich austraten, war es nahezu handlungsunfähig geworden. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation erlosch am 6. August 1806 mit der Niederlegung der Reichskronedurch Kaiser Franz II.

Der Charakter des Reiches
Das Heilige Römische Reich ist aus dem Ostfränkischen Reich entstanden. Es war ein vor- und übernationales Gebilde, ein Lehnsreich und Personenverbandsstaat, der sich niemals zu einem Nationalstaat wie etwa Frankreich oder Großbritannienentwickelte und aus ideengeschichtlichen Gründen auch nie als solcher verstanden werden wollte. Der konkurrierende Gegensatz von Bewusstsein in den Stammesherzogtümern bzw. später in den Territorien und dem supranationalen Einheitsbewusstsein wurde im Heiligen Römischen Reich nie ausgetragen oder aufgelöst, ein übergreifendes Nationalgefühl entwickelte sich nicht.[6]
Die Geschichte des Reiches war geprägt durch den Streit über seinen Charakter, welcher sich – da die Machtverhältnisse innerhalb des Reiches keineswegs statisch waren – im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder veränderte. Ab dem 12. und 13. Jahrhundert ist eine Reflexion über das politische Gemeinwesen zu beobachten, die sich zunehmend an abstrakten Kategorien orientiert. Mit dem Aufkommen von Universitäten und einer steigenden Anzahl ausgebildeter Juristen stehen sich hier über mehrere Jahrhunderte die aus der antiken Staatsformenlehre übernommenen Kategorien Monarchie und Aristokratie gegenüber.[7] Das Reich ließ sich jedoch nie eindeutig einer der beiden Kategorien zuordnen, da die Regierungsgewalt des Reiches weder allein in der Hand des Kaisers noch allein bei den Kurfürsten oder der Gesamtheit eines Personenverbandes wie dem Reichstag lag. Vielmehr vereinte das Reich Merkmale beider Staatsformen in sich. So kam auch im 17. Jahrhundert Samuel Pufendorf in seiner unter Pseudonym veröffentlichten Schrift De statu imperii zu dem Schluss, dass das Reich ein irreguläres „Monstrum“ eigener Art sei.
Bereits seit dem 16. Jahrhundert rückte dann immer mehr der Begriff der Souveränität in den Mittelpunkt.[8] Die hierauf aufbauende Unterscheidung zwischen Bundesstaat (bei dem die Souveränität beim Gesamtstaat liegt) und Staatenbund (der ein Bund souveräner Staaten ist) ist jedoch eine ahistorische Betrachtungsweise, da der feste Bedeutungsgehalt dieser Kategorien sich erst später einstellte. Auch ist sie in Bezug auf das Reich nicht aufschlussreich, da sich das Reich wiederum keiner der beiden Kategorien zuordnen ließ: Ebenso wenig wie es dem Kaiser jemals gelang, den regionalen Eigenwillen der Territorien zu brechen, ist es in einen losen Staatenbund zerfallen. In der neueren Forschung wird die Rolle von Ritualen und Inszenierung von Herrschaft in der vormodernen Gesellschaft und speziell im Hinblick auf die ungeschriebene Rang- und Verfassungsordnung des Reichs bis zu dessen Auflösung im Jahr 1806 verstärkt betont (symbolische Kommunikation).[9]
Das Reich überwölbte als „Dachverband“ viele Territorien und gab dem Zusammenleben der verschiedenen Landesherren reichsrechtlich vorgegebene Rahmenbedingungen. Diese quasi-selbstständigen, aber nicht souveränen Fürsten- und Herzogtümer erkannten den Kaiser als zumindest ideelles Reichsoberhaupt an und waren den Reichsgesetzen, der Reichsgerichtsbarkeit und den Beschlüssen des Reichstages unterworfen, gleichzeitig aber auch durch Königswahl, Wahlkapitulation, Reichstage und andere ständische Vertretungen an der Reichspolitik beteiligt und konnten diese für sich beeinflussen. Im Gegensatz zu anderen Ländern waren die Bewohner nicht direkt dem Kaiser untertan, sondern dem Landesherrn des jeweiligen reichsunmittelbaren Territoriums. Im Falle der Reichsstädte war dies der Magistrat der Stadt.
Voltaire beschrieb die Diskrepanz zwischen dem Namen des Reiches und seiner ethnisch-politischen Realität in seiner späten Phase (seit der Frühen Neuzeit) mit dem Satz: „Dieser Korpus, der sich immer noch Heiliges Römisches Reich nennt, ist in keiner Weise heilig, noch römisch, noch ein Reich.“[10] Montesquieu beschrieb das Reich in seinem 1748 erschienenen Werk Vom Geist der Gesetze als „république fédérative d’Allemagne“, als ein föderativ verfasstes Gemeinwesen Deutschlands.[11]
In der neueren Forschung werden die positiven Aspekte des Reichs wieder stärker hervorgehoben, das nicht nur über mehrere Jahrhunderte einen funktionierenden politischen Ordnungsrahmen bot, sondern auch (gerade aufgrund der eher föderalen Herrschaftsstruktur) vielfältige Entwicklungen in den verschiedenen Herrschaftsräumen zuließ.

Der Name des Reiches
Teil des Krönungsmantels, Zeichnung Schönbrunner, 1857
Durch den Namen wurde der Anspruch auf die Nachfolge des antiken Römischen Reiches und damit gleichsam auf eine Universalherrschaft erhoben. Gleichzeitig fürchtete man das Eintreffen der Prophezeiungen des Propheten Daniel, der vorhergesagt hatte, dass es vier Weltreiche geben und danach der Antichrist auf die Erde kommen werde (Vier-Reiche-Lehre) – die Apokalypse sollte beginnen. Da in der Vier-Reiche-Lehre das (antike) Römische Imperium als viertes Reich gezählt wurde, durfte es nicht untergehen. Die Erhöhung durch den Zusatz „Heilig“ betonte das Gottesgnadentum des Kaisertums und legitimierte die Herrschaft durch göttliches Recht.
Mit der Krönung des Frankenkönigs Karl des Großen zum Kaiser durch Papst Leo III. im Jahr 800 stellte dieser sein Reich in die Nachfolge des antiken römischen Imperiums, die so genannte Translatio Imperii. Geschichtlich und dem eigenen Selbstverständnis nach gab es allerdings schon ein Reich, das aus dem alten römischen Reich entstanden war, nämlich das christlich-orthodoxe byzantinische Reich; nach Ansicht der Byzantiner war das neue westliche „Römische Reich“ ein selbsternanntes und illegitimes.
Das Reich trug zum Zeitpunkt seiner Entstehung Mitte des 10. Jahrhunderts noch nicht das Prädikat heilig. Der erste Kaiser Otto I. und seine Nachfolger sahen sich selbst als Stellvertreter Gottes auf Erden und wurden damit als erste Beschützer der Kirche angesehen. Es bestand also keine Notwendigkeit, die Heiligkeit des Reiches besonders hervorzuheben. Das Reich hieß weiterhin Regnum Francorum orientalium oder kurz Regnum Francorum.
In den Kaisertitulaturen der Ottonen tauchen die später auf das gesamte Reich übertragenen Namensbestandteile aber schon auf. So findet sich in den Urkunden Ottos II. aus dem Jahre 982, die während seines Italienfeldzuges entstanden, die Titulatur Romanorum imperator augustus, „Kaiser der Römer“. Und Otto III. erhöhte sich in seiner Titulatur über alle geistlichen und weltlichen Mächte, indem er sich, analog zum Papst und sich damit über diesen erhebend, demutsvoll „Knecht Jesu Christi“ (servus Jesu Christi) und später sogar „Knecht der Apostel“ (servus apostolorum) nannte.[13]
Diese sakrale Ausstrahlung des Kaisertums wurde vom Papsttum im Investiturstreit von 1075 bis 1122 massiv angegriffen und letztlich weitgehend zerstört. Die Heiligsprechung Karls des Großen 1165 und der Begriff des sacrum imperium, der erstmals 1157 in der Kanzlei Friedrichs I. bezeugt ist, wurden in der Forschung als Versuch gedeutet, „das Reich durch eine eigenständige Heiligkeit von der Kirche abzugrenzen und ihr als gleichwertig gegenüberzustellen“. Die Heiligkeit sei demnach ein „Säkularisierungsvorgang“. Friedrich berief sich jedoch nie auf seinen heiligen Vorgänger Karl, und das sacrum imperium wurde kein offizieller Sprachgebrauch zu Friedrichs Zeiten.[14]
Regnum Teutonicum oder Regnum Teutonicorum tauchen als Eigenbezeichnung in den Quellen erstmals in den 1070er Jahren auf.[15] Die Begriffe wurden bereits zu Beginn des 11. Jahrhunderts in italienischen Quellen gebraucht, allerdings nicht von Autoren in Reichsitalien.[16] Es handelte sich auch um keinen offiziellen Reichstitel, der deshalb in der Kanzlei der mittelalterlichen römisch-deutschen Könige in der Regel nicht verwendet wurde. Der Titel rex Teutonicus wurde vom Papsttum gezielt genutzt, um somit indirekt den Universalanspruch des rex Romanorum auf Herrschaftsrechte außerhalb des deutschen Reichsteils (wie im Arelat und in Reichsitalien) zu bestreiten bzw. zu relativieren. In der päpstlichen Kanzleisprache wurde deshalb während des Investiturstreits bewusst eine Titulatur benutzt, die die römisch-deutschen Könige selbst nicht verwendeten.[17] Später wurden Bezeichnungen wie regnum Teutonicum weiterhin als „Kampfbegriffe“ benutzt, um Herrschaftsansprüche der römisch-deutschen Könige zu bestreiten, wie beispielsweise im 12. Jahrhundert von Johannes von Salisbury.[18] Die römisch-deutschen Könige hingegen bestanden gerade deshalb auf ihrer Titulatur rex Romanorum und auf der Bezeichnung des Reiches als Romanum Imperium.
Im sogenannten Interregnum von 1250 bis 1273, als es keinem der drei gewählten Könige gelang, sich gegen die anderen durchzusetzen, verband sich der Anspruch, der Nachfolger des Römischen Reiches zu sein, mit dem Prädikat heilig zur Bezeichnung Sacrum Romanum Imperium (deutsch Heiliges Römisches Reich). Die lateinische Wendung Sacrum Imperium Romanum ist erstmals 1254 belegt; in deutschsprachigen Urkunden trat sie rund hundert Jahre später seit der Zeit Kaiser Karls IV. auf. Im Spätmittelalter wurde am Universalanspruch des Reiches weiterhin festgehalten. Dies galt nicht nur für die Zeit des sogenannten Interregnums, sondern auch für das 14. Jahrhundert, als es in der Regierungszeit Heinrichs VII. und Ludwigs IV. wieder zu Spannungen bzw. offenen Konflikten mit der päpstlichen Kurie kam. Die Formulierung Imperium Sanctum ist bereits im spätantiken Römerreich vereinzelt belegt.[19]
Der Zusatz Nationis Germanicæ erschien erst im Spätmittelalter, als sich das Reich im Wesentlichen auf das Gebiet des deutschen Sprachraumes erstreckte. 1486 wurde diese Titulatur im Landfriedensgesetz Kaiser Friedrichs III. verwendet. Erstmals offiziell verwendet wurde dieser Zusatz 1512 in der Präambel des Abschieds des Reichstages in Köln. Kaiser Maximilian I. hatte die Reichsstände unter anderem zwecks Erhaltung […] des Heiligen Römischen Reiches Teutscher Nation geladen. Die genaue ursprüngliche Bedeutung des Zusatzes ist nicht ganz klar. Es kann eine territoriale Einschränkung gemeint sein, nachdem der Einfluss des Kaisers in den Reichsteilen Italien und Burgund auf einen faktischen Nullpunkt gesunken war bzw. (in Burgund) weite Teile nun von Frankreich beansprucht wurden. Andererseits klingt auch eine Betonung der Trägerschaft des Reiches durch die deutschen Reichsstände an, die ihren Anspruch auf die Reichsidee verteidigen sollte.[20] Gegen Ende des 16. Jahrhunderts verschwand die Formulierung wieder aus dem offiziellen Gebrauch, wurde aber bis zum Ende des Reiches noch gelegentlich in der Literatur verwendet.[21]
Das lateinische Wort natio bedeutete bis ins 18. Jahrhundert nicht „Volk“, sondern bezeichnete den „Ort der Geburt“ (im Gegensatz zu gens = Sippe, Stamm, Volk). Die Formulierung nationis Germanicæ schließt also an die Vorstellung von der translatio imperii an.
Bis 1806 war Heiliges Römisches Reich die offizielle Bezeichnung des Reiches, die oft als SRI für Sacrum Romanum Imperium auf lateinisch oder H. Röm. Reich o. Ä.[22] auf Deutsch abgekürzt wurde. Daneben sind in der Neuzeit auch Bezeichnungen wie Teutsches Reich umgangssprachlich und vereinzelt im Schrifttum gebräuchlich.[23] Erst die beiden letzten großen Rechtsakte das Reich betreffend, der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und die Auflösungserklärung Kaiser Franz’ II., verwenden jedoch dann den Begriff deutsches Reich auch in offizieller Funktion für das Heilige Römische Reich.
Bereits kurz nach seiner Auflösung wurde in geschichtswissenschaftlichen Abhandlungen das Heilige Römische Reich wieder vermehrt mit dem Zusatz deutscher Nation versehen, und so bürgerte sich im 19. und 20. Jahrhundert diese ursprünglich nur zeitweilige Bezeichnung nicht ganz korrekt als allgemeiner Name des Reiches ein.[24] Daneben wird es auch das Alte Reich genannt, um es vom späteren deutschen Kaiserreich ab 1871 zu unterscheiden.

Die Verfassung des Reiches
Der Begriff der Verfassung des Heiligen Römischen Reiches ist nicht im heutigen staatsrechtlichen Sinne als eine festgeschriebene, formell-rechtliche Gesamturkunde zu verstehen. Sie bestand vielmehr im Wesentlichen aus vielen, durch lange Überlieferung und Ausübung gefestigten und praktizierten Rechtsnormen, die erst seit dem Spätmittelalter und verstärkt seit der Frühen Neuzeit durch schriftlich fixierte Grundgesetze ergänzt wurden.
Die Verfassung des Reiches, wie sie seit dem 17. Jahrhundert im Rahmen der (später so genannten) Reichspublizistik durch Staatsrechtler erörtert und definiert wurde, bestand also aus einem Konglomerat geschriebener und ungeschriebener Rechtsgrundsätze über Idee, Form, Aufbau, Zuständigkeiten und Handeln des Reiches und seiner Glieder. Da sich der stark föderative Charakter des Reiches verbunden mit einer Wahlmonarchie kaum in ein Schema pressen lässt, formulierte bereits der Staatsrechtler Johann Jakob Moser ausweichend über den Charakter der Reichsverfassung:
„Teutschland wird auf teutsch regiert, und zwar so, daß sich kein Schulwort oder wenige Worte oder die Regierungsart anderer Staaten dazu schicken, unsere Regierungsart begreiflich zu machen.[56]“
Die Tatsache der föderalistischen Ordnung mit vielen Einzelregelungen wurde schon von Zeitgenossen wie Samuel Pufendorf kritisch untersucht, der 1667 in seinem unter dem Pseudonym Severinus von Monzambano veröffentlichen Werk De statu imperii Germanici das Reich als systema monstrosum und unglückliches „Mittelding“ zwischen Monarchie und Staatenbund charakterisierte. Zu seiner berühmt-berüchtigten Einschätzung der Reichsverfassung als „irregulär“ und „monströs“ gelangte er auf Grund der Erkenntnis, dass das Reich in seiner Form weder einer der aristotelischen Staatsformen zugeordnet werden kann noch den Begrifflichkeiten der Souveränitätsthese gerecht wird.[57]
Trotzdem war das Reich ein staatliches Gebilde mit einem Oberhaupt, dem Kaiser, und seinen Mitgliedern, den Reichsständen. Wie beschrieben war der ungewöhnliche Charakter des Reiches und seiner Verfassung den Staatsrechtlern des Reiches bewusst, weshalb versucht wurde, dessen Charakter in der Theorie der „dualen“ Souveränität darzustellen. Nach dieser Theorie wurde das Reich von zwei Majestäten regiert. Auf der einen Seite war die Majestas realis, die von den Reichsständen ausgeübt wurde, und auf der anderen Seite die Majestas personalis, die des Erwählten Kaisers. Dieser verfassungstheoretisch erfasste Dualismus spiegelte sich auch in der häufig anzutreffenden Formulierung Kaiser und Reich wider. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern war dessen Oberhaupt eben nicht das Reich. Die „Reichsverfassung“ stellte somit eine Art Mischverfassungssystem dar, bestehend aus dem Kaiser und den Reichsständen.
Gut 100 Jahre nach Pufendorf verteidigte Karl Theodor von Dalberg, der Erzbischof von Mainz, die Ordnung des Reiches mit den Worten:
„ein dauerhaftes gothisches Gebäude, das eben nicht nach allen Regeln der Baukunst errichtet ist, in dem man aber sicher wohnet.[58]“

Quelle: Wikipedia

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