16 April 2016 ~ 0 Comments

Erinnerungen an die Freiheit

Der vermeintlich fürsorgliche Staat zerstört die Familie, indem er ihre Aufgaben übernimmt – und ihnen nicht gerecht wird.

Gerne erinnere ich mich an den 2012 verstorbenen Ökonomen und Freiheitsdenker Roland Baader. In den Jahren vor seinem Tod hatte ich zwei Interviews mit ihm geführt und Texte von ihm für factum redigiert. Seine Worte hatten etwas Robustes. Er war konfliktbereit.
Das nur scheinbar Höfliche von manch heutiger Rede, was oft genug nur von der Verwechslung von Prinzipienlosigkeit mit Toleranz herrührt, war Roland Baader ganz fremd. Jetzt erschien ein Buch mit Auszügen aus verschiedenen Buch- und Zeitschriften-Veröffentlichungen von ihm. Anders als die Theoretiker der Schuldenwirtschaft und des Genderismus fand er klare Worte für seine Gedanken, die er oft zu Bonmots wie diesem verdichtete:
«Sozialismus ist ein Überfluss an Staat. Das bleibt dann der einzige Überfluss.»

Baader war der festen (christlichen) Überzeugung, dass Nächstenliebe eine individuelle Kategorie, eine Sache des persönlichen Gewissens ist – und nicht des Staates. Liebe kann man nicht verstaatlichen. Baader:
«Verantwortung ist immer privat und an die Person gebunden.
Kollektive Verantwortung gibt es nicht. Wer aber – wie der Staat – keine
Verantwortung tragen kann, hat auch kein Recht, als moralische Oberinstanz aufzutreten.“

Wo der Staat seine Zuständigkeiten überdehnt, anstatt sich auf seine ureigenen Aufgaben zu konzentrieren und zu beschränken (innerhalb seiner Grenzen ein auf bewährten Werten ruhendes Rechtssystem durchzusetzen), endet es – über kurz oder lang – erst im Fiasko und dann möglicherweise in der Unfreiheit. Baader erinnerte an Mao Tse Tung. Dass dieser das Kollektiv zum Instrument des Guten machte, hat 60 Millionen Menschen das Leben gekostet. Viele von ihnen sind verhungert.

Die Kombination von Macht und Hypermoral bezeichnete Baader als «geradezu satanisch».
Nicht ohne Grund sei Robespierres Moralwahn zur Schreckensherrschaft ausgeartet, zum Tugend-Terror. Wenn sich ein Staat anschickt, die Menschen verbessern zu wollen, sie moralisch zu dirigieren, einen «neuen Menschen» zu schaffen, ist der Totalitarismus nicht mehr fern. Die geschichtliche Erfahrung mit Stalin, Hitler und Pol Pot lehre, so Baader, dass der Traum vom kollektiven Guten zu Knechtschaft und Massenmord führe.

Der Niedergang der Sicherheit, Bildung, Medien und Moral, dessen wir heute Zeugen sind, hätte ihn nicht überrascht. Er hat das in seinen Büchern vorhergesagt. Der soziale Ort, an dem sich moralisches Handeln entwickelt, ist nicht der Staat und kein Kollektiv, das ist die Familie. Individualität und Verantwortlichkeit füreinander bilden sich in der Familie heraus – das war ein Eckstein im Denken von Roland Baader. Moral ist keine komplizierte theoretische Angelegenheit. Wenn sie wirklichkeitsnah und praktisch sein soll, sei das eine einfache Maxime: «Ich sorge für mich selber und meine Familie, auch damit ich nicht anderen zur Last falle und nicht auf deren Kosten lebe; (…) ich bewältige mein Leben und erwarte von niemandem, dass er es für mich bewältigt.»
Damit das gelingt, so Baader, bedarf es keiner (zusätzlichen) Gesetze, sondern der Einhaltung zivilisatorischer Regeln – die in der Familie vermittelt und vorgelebt werden.
Der «fürsorgliche Staat» zerstöre mit der Familie die Gültigkeit dieser Regeln. Der folgende Niedergang ist allenthalben zu besichtigen. Die Politik löscht das Feuer mit Benzin, indem sie in alle Lebensbereiche hinein Gesetze erlässt. Immer enger werden die Winkel, wo ein Paragraf den Menschen erwartet. Sie werden scheinbar nötig, da zuvor die Familie diffamiert, geschwächt und untergraben wurde, in der sich Verantwortungsbewusstsein und Individualität (im Sinne von gesunder persönlicher Identität) entwickeln.

«Genau diese Institution, die Familie, aber ist es, deren Zerstörung auf dem Herrschaftsprogramm des Staates steht, denn je mehr die Menschen auf den Staat angewiesen sind, desto größer und mächtiger kann er werden. Er fürchtet nichts mehr als Leute, die ihn nicht brauchen und sich selbst helfen können.»
Wer die Familien entmachtet und die Kinderliebe und den Respekt vor dem Alter in staatliche Betreuungseinrichtungen outsourct, die Nächstenliebe mit einer staatlich inszenierten Gefühlsaufwallung verwechselt und der Gesellschaft als «alternativlos» aufoktroyiert – und dies noch, wie in der Migrationsdebatte, unter dem Bruch von nationalen und internationalen Gesetzen und Abmachungen in einer Art übergesetzlichen Notstand –, der wird Chaos und Lieblosigkeit als Frucht seiner Wertevergessenheit ernten müssen.
Die appellative Beschwörungsformel «Wir schaffen das!» richtet sich an das Kollektiv, nicht an den Souverän, der eigentlich die entscheidende Instanz im Staat sein sollte. In dieser Vereinnahmung des Individuums drückt sich die Überbewertung staatlicher Möglichkeiten und die Geringschätzung der freien Entscheidung des Einzelnen aus.

Baader hat festgestellt, dass Staaten heute oft eine «überhebliche Hypermoralität» entwickeln. Er zitiert die ehemalige Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld, die in der DDR persönlichen Mut bewiesen hatte, mit den Worten: «Hypermoralisierung ist von der Entmoralisierung nicht weit entfernt.» Hinter staatlichem «moralischem» Überaktivismus verbergen sich Orientierungslosigkeit und Ohnmacht, die man sich nicht eingestehen möchte. Es erinnert an den Spruch von Mark Twain:
«Nachdem wir das Ziel endgültig aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen.»

Der britische Wirtschaftswissenschaftler Paul Collie befasst sich mit dem Thema Migration nicht erst seit dem Spätsommer 2015. Migration ist sein Lebensthema. Collie, selbst ein Kind von Einwanderern, ist der berühmteste Migrationsforscher der Welt. Durch Reisen in die Region kennt er die Situation in den Flüchtlingslagern vor Ort. Sein Urteil über die deutsche Politik fällt hart aus. Deutschland, sagt er, habe keinen einzigen Syrer vor dem Tod gerettet. Im Gegenteil: Deutschland habe «trotz bester Absichten eher Tote auf dem Gewissen». Viele Menschen hätten Merkels Worte als Einladung verstanden und haben «sich dann erst auf den Weg gemacht, haben ihre Ersparnisse geopfert und ihr Leben dubiosen Schleppern anvertraut».

Das sinnvolle Prinzip, Flüchtlinge in den unmittelbaren Nachbarstaaten aufzunehmen, wird damit verletzt, so der 62-Jährige. Flüchtlinge bringen sich nicht unnötig in Gefahr, so Collie, wenn sie in der unmittelbaren Nähe des Heimatlandes bleiben. Und wenn wieder Frieden herrscht, «können sie sehr einfach wieder zurück und beim Wiederaufbau helfen». Umso größere Familien-und Clankontingente in ein fernes Land ausgewandert sind, desto weniger werden sie sich dort integrieren.
Das Leben in einer Parallelgesellschaft ist dann der naheliegende Weg. Die Gründe für eine Rückkehr und den Wiederaufbau der Heimat schwinden.

Roland Baader hätte in der heutigen Maßlosigkeit staatlicher Politik, sei es in der Schuldenpolitik, im Genderismus (dessen Charakter er als totalitär beschrieb) oder in der Hybris, die Elenden der Welt auf deutschem Boden genesen lassen zu können, letztlich die geistliche Krise erkannt und benannt. Anstatt Gott zu verehren, kommt es zu einer «Vergöttlichung von Staat und Politik», so Baader. «Wer glaubt», sagte Baader, «ist weniger anfällig für die Vergötzung menschlicher Institutionen.»
Freiheit und christlicher Glaube seien aufeinander bezogen und aufeinander angewiesen. Der Blick in die Realität lehre dies: «Es ist kein Zufall, dass im Verlauf des 20. Jahrhunderts in allen totalitären und sozialistischen Zwangsstaaten der Erde zugleich mit der Freiheit auch die göttliche Botschaft ausgelöscht wurde.» Ebensowenig sei es kein Zufall, dass «in den halbsozialistischen Wohlfahrtsstaaten Europas die Kirchen leer geworden sind sowie persönliches Mitleid und private Karitas dem ‹sozial›-kleptokratischen Umverteilungsbefehl des Staates gewichen sind».

Die Alternative zum «starken Staat» ist für Baader die Anerkennung «der Herrschaft – besser: Autorität – des christlichen Gottes, weil diese nichts mit Ausbeutung, Unterdrückung, Entwürdigung, Entmündigung oder Knebelung des freien Willens zu tun hat, sondern eine Herrschaft der Liebe ist».
Gerade in der Anerkennung dieser Autorität erkannte er «die eigentliche Befreiung von menschlicher Willkür, weil die Gotteskindschaft dem Menschen erst seine größte Würde und seine höchstmögliche Mündigkeit verleiht». Roland Baader war überzeugt:
«Für den Freiheitsanspruch und die Menschenwürde gibt es letztlich nur eine einzige unwiderlegbare Rechtfertigung, und das ist die Gottesgeschöpflichkeit des Menschen

Thomas Lachenmaier, in http://factum-magazin.ch/

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